Der Nove Colli ist unter den Italienern einer der beliebtesten Gran Fondos in der Region „Emilia Romagna“. Dieses Jahr war es bereits die 48. Ausgabe des Rennens und die gut 12.000 Startplätze sind innerhalb weniger Minuten ausverkauft. 12.000 Starter, das bedeutet, dass quasi eine ganze Stadt hinter einem her ist (Eisenstadt hat gerade einmal 14.000 Einwohner). Wie der Name bereits verrät, bestreitet man 9 Berge in Italien und macht auf 205 Kilometern gut 3.780 Höhenmeter. Als Alternative wird vom Veranstalter auch eine kleinere Runde angeboten mit 135 Kilometern und 1800 Höhenmetern. Bei dieser Variante werden dann aber nur 4 Berge bestritten.
Unser „kleiner“ Nove Colli
„Just have fun guys and enjoy Emilia Romagna!“ sagte Andrea am Vorabend zu uns, als wir uns verabschiedeten. Um halb 10 war Schicht im Schacht und wir begaben uns alle in unsere Zimmer um noch genügend Schlaf zu bekommen. Der Wecker war für 3:45 Uhr gestellt, Frühstück gabs um 4:00 Uhr & Treffpunkt vor dem Hotel war für 5:30 Uhr vereinbart. Rennstart dann um 6:00 Uhr früh. Läuft bei uns haha.
„Just have fun guys“
Dieser Satz schwirrte mir bis spät in die Nacht durch den Kopf. Spaß haben? Als Andrea das zu uns sagte, war ich mir insgeheim nicht ganz sicher, wie man bei einem solchen Großevent mit 12.000 Startern beim Nove Colli Spaß haben sollte. Er fügte noch hinzu „Be careful on the first hill! It could be possible that you have to push the bike up the hill. Depends on how fast you reach the first climb.“ Na das würde ja noch fehlen, bei einem Radrennen das Fahrrad hochzuschieben haha. Um dem zu entgehen mussten wir auf den ersten Kilometern bereits ordentlich Gas geben.
Je mehr ich darüber nachdachte umso komischer wurde mein Bauchgefühl. Ich wälzte mich nach links, nach rechts, wieder nach links und versuchte meine Gedanken zu sortieren und mich abzulenken. Was war mit Andy? Der schnarchte schon neben mir, was sonst. Wie immer hatte der die Ruhe weg, dafür hatte ich ihn sofort beneidet. Nove Colli, wir sehen uns morgen!
DER WECKER LÄUTET!
Wupp – meine rechte Hand schlägt urplötzlich um sich und trifft Andy komplett auf der Brust. Der fährt aus dem Bett, schnappt nach Luft und presst ein „Was los?“ heraus. „Andy, wir haben verschlafen! Der Wecker läutet schon wieder.“ Auf der Suche nach dem Wecker realisierten wir, dass das nicht unser Wecker war, der da läutete, sondern der Wecker aus dem Nebenzimmer. Der Schlafmangel der vergangenen Nächte machte sich also bereits bemerkbar haha. Tja, so ist das wenn alle mit offenem Fenster schlafen. Der Schreck ließ nach und wir starteten langsam in den Morgen, wenn man das überhaupt „Morgen“ nennen konnte.
Der Start unseres Rennens
Gemeinsam mit Luis von ciclored, Miriam von Speedville, Andrea, dem Leiter des Tourismusverbands ‚Emilia Romagna‚ & Alessandro, einem ehemaligen italienischem Rennradprofi nahmen wir unsere Startposition beim Nove Colli ein. Der Startschuss fällt in Cesenatico direkt neben dem Meer. Von dort aus geht es die ersten 25 Kilometer sehr flach in die Apenninen der Emilia Romagna. Gestartet wird staffelweise – alle 4 Minuten wird die nächste Staffel geöffnet und hunderte Radbegeisterte rollen los. Dies macht den Start weniger gefährlich. Alessandro kannte die Straßen perfekt und verhalf uns auf den ersten Kilometern einen kleinen Vorsprung herauszufahren. Danach zündeten Luis und Alessandro ihren Turbo und braußten mit 45km/h in Richtung Forlimpopoli.
Der Anstieg nach Bertinoro/Polenta mischt das Feld dann vollkommen durch. Dort verloren wir den Anschluss an den Rest der Truppe, Andy und ich blieben zusammen. Auf 8,8 Kilometern ist so gut wie alles dabei. Am Start rollt man noch bei 6-7% bergauf, doch dann kommen Rampen mit bis zu 12%, dazwischen kurze Abfahrten und kaum hat man geglaubt, man hat es endlich geschafft, stellt sich die nächste Rampe vor einem auf. Das saugt schon richtig an den Beinen. Nicht nur, dass es da erst 7 Uhr in der Früh ist, sondern durch diesen laufenden Tempowechsel fand ich schwer meinen Rhythmus. FAZIT:
— Der Berg zaht sich schonmal ordentlich —
Hat man Polenta endlich erklommen, so steht einem jetzt ein schneller & kurzer Abstieg nach Fratta bevor. Die Straßen sind gespickt mit Rissen & Schlaglöchern – daher heißt es Abstand halten & vorsichtig fahren. So sind aber alle Straßen in Italien. Im Pulk versucht man jedem Schlagloch auszuweichen, auf ein Schlagloch deuten kann hier keiner, denn bei so vielen Schlaglöchern wird man nicht mehr fertig „Hinweise“ zu geben. Während der rasanten Abfahrt höre ich in einer 90 Grad scharfen Linkskurve plötzlich einen extrem lauten Schuss hinter mir. Innerlich bin ich zusammengezuckt. Ich blicke um mich und Andy war zum Glück neben mir, doch hinter uns platzte wohl ein Reifen. Den Radfahrer hat es ins Feld geschleudert und mehrmals überschlagen. Für den war der Nove Colli dann schnell vorbei :/ Danach hatte ich echt ein komisches Gefühl und Andy gefragt, wie ich denn so einen Reifenplatzer verhindern könne haha.
— Auf der Suche nach der ersten Labestation —
Nachdem ich ja kaum gefrühstückt hatte (vor lauter Nervosität), suchte ich schon gierig nach der ersten Labestation, doch der Weg dahin war recht erschwerlich. Nach der Abfahrt ging es immer gute 2-3% leicht bergauf, dann wieder kurz bergab. Als wir endlich eine gute Gruppe gefunden hatten, stellte sich bei Andy neben mir ein kontinuerliches Klackergeräusch ein. Klack —– Klack —– Klack. Je nach Geschwindigkeit wurde es schneller. Klack – Klack – Klack. Wir dachten uns nichts dabei, bogen um die Kurve und tada – schon standen vor einer riesen Labestation. Nicht zu übersehen. Zelte, Dixi-WCs, Mechaniker, Frischwasserquellen. Dort gab es einfach alles. Wir blieben stehen und blickten am Rad herunter und da sahen wir den Übeltäter. Ein riesen Nagel steckte in Andy’s Reifen. Als er ihn abzog *zzzzzziisssssschte“ es nur so, schon war der Reifen leer. Während Andy mit dem Mechaniker den Reifen fixte, genehmigte ich mir eine Pepsi & ein paar glutenfreie Kekse.
Wir waren wieder einsatzbereit – Pieve di Rivoschio
Dieser Berg ist nur eine Fortsetzung dessen, was wir bereits aus Italien kennenlernen durften. Rampen bis zu 10% auf 9 Kilometern. Hier schlängelt sich die Straße so unglaublich schön durch die Natur, das ist der pure Wahnsinn. Hunderte Radfahrer verfolgen dich und selbst jagt man hunderten Radfahrern hinterher. Schier endlos schlängelt sich Masse an Radlern den Berg hoch. Obwohl auch dieser Berg für mich echt anstrengend war, genoß ich es sehr. Egal wohin man seinen Blick schweifen lies, fand man die einzigartige Szenerie von Emilia Romagna. Die Reben und Sträucher waren bedeckt vom Morgentau und funkelten in der warmen morgendlichen Sonne. Auf langgezogenen Serpentinen arbeitet man sich Meter für Meter an die Spitze. Oben ist der Blick endlos. Viele bleiben stehen und genießen den Ausblick, wir die anschließende Abfahrt. Wir rollten hinab und landeten direkt am Fuße des dritten Hügels. Ciola. Dieser Berg ist kürzer & steiler. Nach nur 5 Kilometern ist man oben angekommen. Man war ich froh. Im Kopf wusste ich, jetzt gibt es nur noch einen Berg vor uns.
— Der Angstgegner: Barbotta —
Vor diesem Berg hat Alessandro speziell mich gewarnt, bzw. genauestens gebrieft. Der Barbotta startet relativ flach, jedoch erwarten einen auf dem letzten Kilometer 18% Steigung. Wer also seine Körner hier im Start verschießt, könnte am Ende Probleme haben. Alessandro meinte: „Just take your time for Barbotto. Start with your pace and breathe calm. It will end after 5,5 Kilometers.“ Startet man in den Barbotta hinein, hat man bereits 86 Kilometer in den Beinen und 1200 Höhenmeter.
Am Fuße des Berges dachte ich an Alessandro’s Worte. Ich schaltete zurück und legte einen extrem gemütlichen Gang ein, obwohl ich flotter hochspulen hätte können. Viele überholten mich in ihrem Eifer und ich dachte mir: „Nur nicht übermütig werden Tini. Lass dich nicht mitreißen.“ Ich atme tief ein & wieder aus, um einen Asthmaanfall zu vermeiden. Der Barbotta verleitet nämlich dazu, schneller zu fahren. Denn immer wieder kommen angenehme kleine Bergabstücke in denen man sich kurz erholen kann. Doch ich hielt meine Geschwindigkeit konstant. Hinter mir hörte ich ein Auto, also versuche ich auszuweichen. Ich drehe mich um, und sehe nur wie mir jemand aus einem Rettungswagen zuwinkt und ruft „Andare, Andare“. Also fahre ich nun vor dem Rettungswagen. So konnten die 18% kommen, ich fühlte mich sicher hihi.
— Der letzte Kilometer —
Nach dieser einen Kurve war es dann so weit, die Wand stellte sich auf. Gang hatte ich keinen mehr. Also stand ich kurz auf und holte Schwung. Ein paar Radler erkannte ich wieder. Sie waren erst kürzlich an mir vorbeigefahren und jetzt überholte ich sie. Ich war vollkommen beflügelt von dem Gefühl auch mal jemanden zu überholen. Mir stand der Schweiß im Gesicht. Meter für Meter kroch ich bergauf. Leute feuerten mich an. Viele Radfahrer blieben stehen. Ich trat weiter, immer weiter. Andy war extrem stolz und blieb immer an meiner Seite. Ich hörte bereits die Musik der „Bergankunft“ und so radelte ich um mein Leben und hatte es geschafft. Nicht ein Mal musste ich vom Rad absteigen, wie viele andere, oder um Andy’s Hilfe bitten. Der Barbotta war bezwungen, aus eigener Kraft. Was für ein großartiges Gefühl.
Worte eines stolzen Freundes
Auch ich war angespannt, vor allem vor der Startphase, aber das wollte ich Tini einfach nicht zeigen. Sie war nervös und durch meine äußerliche Ruhe, fühlte sie sich auch sicherer. Es war also meine Aufgabe bei ihr zu bleiben und mich um sie kümmern. Das ganze Rennen über war ich schon richtig stolz wie gut sie ihren ersten Marathon meisterte, vor allem bei der Zahl an Startern war vollste Konzentration gefordert. Doch am letzten Anstieg, den Barbotta, hat sie mich wirklich beeindruckt. Sie wollte den allerletzten Berg für sich alleine und in ihrem Tempo erklimmen. Auf Befehl der Chefin ließ ich ein paar Radlängen Abstand und blickte immer unbemerkt nach hinten um sie zu beobachten. Ich sah wie tapfer sie mit sich und dem Berg kämpfte.
Es waren nicht viele die an uns vorbei gezogen sind, aber Tini war das gar nicht so bewusst. Sie konzentrierte sich stark, denn immer wieder stiegen direkt vor ihr einfach Leute vom Rad ab und sie musste schnell reagieren. Der finale Kilometer war dann wirklich steil. Ich fragte sie, ob ich ihr helfen sollte, doch sie wollte es alleine schaffen. Beflügelt von ihrer eigenen Leistung gab sie alles. Am Straßenrand mussten doch mehrere Fahrer als erwartet ihr Fahrrad den Berg hoch schieben oder sogar tragen.
200 Meter vor der Ankunft wusste ich, sie hat es geschafft.
Ich war überglücklich als sie im Wiegetritt durchs Ziel rollte. An ihrem breiten Grinsen im Gesicht wusste ich, dass auch sie richtig happy war. Oben angekommen blieben wir stehen (damit sich Tini den Schweiß aus den Augen wischen konnte, der brannte nämlich haha) und ich umarmte sie ganz fest. Es war eine unbeschreibliche Freude für mich sie so zu sehen. Es erinnerte mich zurück an den Tag, an dem wir zusammen den Großglockner erklommen haben, ein unbeschreibliches Gefühl. Ich freue mich auf den nächsten Tag, an dem Tini etwas schafft, das sie sich am Vortag nicht zugetraut hatte. Es ist es wert zu warten und langsam zu fahren. Das persönliche Ziel beseite zu schieben und zurückzustecken, für jemand anderen. Als Belohnung mitzuerleben, wie dankbar und glücklich die andere Person ist. Ich liebe es einfach. Das ist der Grund, warum wir radfahren. Das ist einfach unsere Leidenschaft.
Tini’s erlebte Emotionen während des Rennens
Ich hatte echt Schiss – das sollte er also sein – mein erster Marathon überhaupt. Hätte ich mir nicht einen kleineren Marathon für den Start aussuchen können? Ich saß auf heißen Kohlen und konnte mich einen Tag vor dem Start wirklich kaum über dieses Ereignis freuen. Andy meinte noch so „Tini, wenn du dich nicht gut fühlst, müssen wir nicht starten!“. Pfffft – na nicht mit mir. Sobald ich mein Wort auf etwas gebe, muss ich dieses auch halten, außer es geht mir wirklich körperlich schlecht oder so. Aufgeben war keine Option!
In der Früh hat es mich entweder vor Müdigkeit, oder vor Aufregung am ganzen Körper gerissen wie ein Kluppensackerl. Ich weiß es nicht. Kas-weiß begrüßte ich die anderen am Morgen. Am Weg zum Start standen wir dann im Stau – aber nicht mit dem Auto – nein, mit dem Fahrrad haha. Tausende tummelten sich auf den Straßen. Am Start wurden wir mit italienischer Hymne und einem Feuerwerk in Empfang genommen. Es war unglaublich schön & bereits jetzt sehr emotional. Alle sangen sie mit, die 10.000 Starter aus Italien.
— *Puff* Der Startschuss war gefallen.–
Unser Block kam nach 10 Minuten langsam ins rollen und mein Adrenalinspiegel war on se top. Von allen Ecken aus wurden wir angefeuert und beklatscht. Der Helikopter schwebte über uns und ich fühlte mich wie beim Giro d’Italia. Die Straße war komplett abgeriegelt, also fegten wir über die breite Fahrbahn mit 35 km/h. Bei jedem Kreisverkehr standen mehrere Streckenposten mit orangenen Fahnen die uns den Weg signalisieren sollten. Es war großartig. Auf der ganzen Strecke wimmelt es nur so von Schaulustigen. Sie feuern dich an, rufen dir zu. Alle paar Kilometer stehen oftmals freiwillige Italiener mit ihrem Auto mit der Aufschrift „Meccanico“. Die Labestationen sind abnormal. Radständer, Musik, Dixi-WCs, Trinken und Essen in unglaublichen Mengen. Von dem Wurstbrot angefangen, über Croissants mit unterschiedlichsten Füllungen, Kuchen, Waffeln, Muffins, Hot Dogs, Orangensaft in kleinen Tetrapacks, Pepsi, Cola, Wasser. Also ich könnte hier noch ewig weitermachen.
Am meisten habe ich den Barbotta genossen. Oma’s sitzen auf ihren Bänken und Klatschen dir Motivation zu. Rufen dir auf italienisch (hoffentlich) nur die besten Glückwünsche zu. Auch im Feld motivieren sich die Leute gegenseitig und als Andy mich mit Nahrung verpflegte sagte einer nur „That’s amore“. Eine Engländerin meinte zu mir „I would love to have a husband like this. Don’t ever let him go.“ Recht hatten sie! Wir bestritten den Marathon gemeinsam. Andy funkelte mich an als ich den Barbotta nach oben radelte. Es ist schön nicht alleine fahren zu müssen, aber dann noch mit der Person die man liebt und die rücksichtsvoll auf dich wartet. Du hörst die Musik an der Spitze, siehst die Leute neben dir leiden, leidest mit. Jeder quält sich durch dasselbe. Am Berg angekommen wischt du dir den brennenden Schweiß aus den Augen und bist einfach nur unendlich happy.
Das gesamte Rundherum des Nove Colli’s hat das Rennen zu etwas Besonderem gemacht und so sind wir, Hand in Hand, gemeinsam über die Ziellinie gerollt.